Gewalt und Gemeinschaft. Kriegsknechte um 1500
Stefan Xenakis
Bei der „Schlacht am Simmelturm“ am Samstag des Peter-und-Paul-Festes darf sie nicht fehlen, die Szene der meuternden Knechte aus dem Fähnlein des Hauptmann Albrecht Schedel. Immerhin wird hier ein sehr dramatisches Beispiel aus dem Kriegsalltag der bedrängten Stadt in Szene gesetzt. Entsprechend gut kann man die bedrückende Enge in der Stadt nachvollziehen – und den Moment, in dem der Unmut über den ausbleibenden Monatssold in blanke Wut der Knechte umschlägt, die sich erst mit Androhung von Waffengewalt befrieden lassen. Dabei war eine Meuterei im frühen 16. Jahrhundert an und für sich keine Seltenheit, wie Stefan Xenakis zeigt.
Kürzlich erschien sein Werk zu „Gewalt und Gemeinschaft“ und zu den „Kriegsknechten um 1500“, wobei er gerade auch in den Dokumenten zum Landshuter Erbfolgekrieg eine reiche Materialbasis fand, um sich diesem wohl verheerendsten Konflikt, den das Reich bis dato gesehen hatte, anzunähern.
In Bretten beklagen sich die meuternden Knechte, sie seien „wie die schaff in eim pferrich“ eingesperrt, wie Schafe in einem Pferch also, während der Ulmer Ratsherr Matthäus Neithardt im selben Jahr 1504 aus dem Krieg nach Hause schreibt: „… liebe Herren, ein unerhörter Krieg ist das“. Nicht selten werden eroberte Flecken, Dörfer oder auch Städte rigoros ausgebeutet und gebrandschatzt, wobei es den Plünderern oft genug nicht alleine nur um den materiellen Gewinn ging, sondern auch um das soziale Prestige. Den Gegner niederzuwerfen, zu töten – das gehört hier zum Kriegsalltag.
Nicht selten setzte ein Knecht zudem nach erfolgreicher Plünderung das solcherart erworbene Hab und Gut beim Spiel ein – und konnte vor seinen Kameraden sogar dann noch brillieren, wenn er auf einen Schlag alles verlor. So widersinnig dieser Verlust aus ökonomischer Sicht gewesen sein mag, so folgerichtig war er aus dem Selbstverständnis der Kriegsknechte heraus, die ihren besonderen Status auch durch derlei erworbenes „soziales Kapital“ erhöhten. Alles „aufs Spiel zu setzen“, das zeugte von Mut und Ehre – und es grenzte die Reihen der Knechte nach außen, zur „normalen“ Gesellschaft ab. Der materielle Bedarf der Söldnerheere war denn entsprechend unermesslich: Beute ging drauf für immer aufwändigere Kleidung oder eben das Glücksspiel, wie der Autor zeigt.
Stefan Xenakis dringt tief in die Jahre um 1500 ein, und zeigt gerade anhand des Landshuter Erbfolgekrieges, wie sehr Meutereien und wildes Plündern an der Tagesordnung waren – wobei beide Phänomene nichts anderes sind als das „zu Geld machen“ eines „Gewaltpotentials“. Denn zugleich kämpfen und sterben die Knechte, wenn es tatsächlich zu einer Schlacht kommt – wobei im Landshuter Erbfolgekrieg eigentlich nur derer zwei stattfanden. Und die waren nicht einmal entscheidend in diesem als Abnutzungskrieg geführten Konflikt.
Doch auch bei taktischen Manövern oder den häufigen Belagerungen ist es die nackte Gewalt, die die Knechte zusammenhält – und das selbst in der Meuterei, die meist von den „Schreiern“ ausgeht, die andere zum Skandieren von Parolen animieren, bis plötzlich innerhalb der Gruppe eine neue Macht hervorbricht, die den Artikelbrief zu ignorieren vermag, und neutrale Knechte bei Todesandrohung ins Glied zwingt. Alleine wegen der detaillierten Beschreibungen, die Stefan Xenakis vom Ablauf solcher Geschehnisse gibt – die in ihrer Dramatik ungeheuer dynamisch sind – lohnt sich die Anschaffung seines Buchs.
Gerade auch der Brettener Meuterei räumt er in seinem strikt durchstrukturierten Werk, das leider nicht ohne manche Wiederholung auskommt, gewissen Raum ein, wobei er die einzelnen Eskalationsstufen gekonnt seziert. Denn der in Bretten ausbleibende Monatssold alleine führt nur zum Unmut – erst, als zwei der Knechte beim Weißhofer Tor von aus der Mauer geschossenen Steinen erschlagen werden, kocht der Zorn über. Denn jetzt ziehen einige der Kameraden zum Haus des Hauptmanns, der ihnen nicht nur den Sold verweigere, sondern sie auch hintergehe, hätten sie sich ihm doch mit „Leib und Leben“ anvertraut. Dass sich Schedel herausreden will – der Sold wäre ja da, nur eben noch nicht in der Stadt – wird niedergeschrien. Dafür wird nun die Trommel gerührt, bis alle Kameraden vor Ort sind, um nun in Schlachtordnung durch die Stadt zu ziehen. Und zwar auf der Suche nach einem geeigneten Platz für die Abhaltung einer „Gemeine“, bei der die Knechte im Kreis stehen, um lautstark zu beraten. So wichtig ist dieser Kreis, dass die Knechte schließlich in einem Gehöft anlanden, weil sie sonst in der engen Stadt keine Möglichkeit und Ruhe vor Schaulustigen finden. Selbst in einer Meuterei gelten eben gewisse Regeln.
Derweil versuchen Obrist Reiffenberg und Ritter Conrad von Sickingen, die anderen Fähnlein in der Stadt in Stellung zu bringen – indes weigern die sich. Statt dessen fragt man nun bei den betuchten Bürgern um kurzfristige Hilfe, die jedoch nur sehr zurückhaltend gewährt wird. Alleine mit Lebensmitteln wollten sie gerne helfen – was die meuternden Knechte wiederum überschreien. Damit ist der Versuch einer Deeskalation gescheitert – nun werden die bewaffneten Bürger formiert und das Geschütz auf der Stadtmauer gegen die Meuterer gerichtet, die letzten Endes klein beigeben. Immerhin ist ans Desertieren, wie es auf dem freien Feld machbar gewesen wäre, nicht zu denken.
Das Brettener Beispiel ist sehr gut geeignet, um die Mentalität der Knechte um 1504 zu verstehen. Denn zwar gingen sie für ihren Sold große Risiken ein, wobei Verwundungen nicht als Zeichen von Schwäche, sondern als Beweis von Mut angesehen wurden, wie das Titelbild mit der Skizze von Pauls vom Dolnstein aus dem Jahr 1503 zeigt – er nahm selbst am hier dargestellten Kampf vor dem südschwedischen Schloss Älvsborg teil. Ein ausbleibender Sold hingegen war nicht nur ein materieller Nachteil, sondern beschnitt auch die Ehre der Knechte. Und die war ihnen lieb und teuer, drückte sich in der Ehre doch auch ein gewisser persönlicher „Wert“ aus. Wobei es durchaus auch ehrenhaft war, Feinden den Tod zu bringen. Zimperlich war man nun wirklich nicht.
Dass die Knechte des Albrecht Schedel denn auch in Schlachtordnung durch die Stadt zogen, zeugt wiederum vom speziellen Habitus der Söldner, die solcherart ihre Fähigkeit zur Gewaltanwendung als Aktionsmacht unter Beweis stellen. Und genau deshalb kann man die Geschehnisse jenes Sommers 1504 als Sinnbild einer ganzen (Kriegs)-Epoche werten.
Dies – und noch viel mehr – fasst Stefan Xenakis zusammen. Natürlich geht es immer wieder um Gewalt und Gegengewalt, um Ehre, Rache und Tod. Aber genau deshalb nimmt er den Leser unmittelbar mit in jene Zeit, die alljährlich am Simmelturm in Szene gesetzt wird. Mit anderen Worten: Ein überaus lesenswertes Buch.
Stefan Xenakis: Gewalt und Gemeinschaft. Kriegsknechte um 1500. Verlag Ferdinand Schöningh 2015, 405 Seiten, gebunden, 7 s/w-Abbildungen, 5 Tabellen, erschienen in der Reihe „Krieg in der Geschichte“, Band 90, ISBN 978-3-506-78230-4, 46,90 Euro.
Autor: Heiko P. Wacker