Der Himmelsstürmer

Ottheinrich von Pfalz-Neuburg

Klaus Reinhold

Er verkörperte seine Epoche wie kaum ein anderer: Ottheinrich

In Heidelberg kennt man ihn vor allem wegen seines Palasts, dessen Fassade im Geviert des Heidelberger Schlosses steht. Und das ist auch ganz passend, kann man doch Ottheinrich durchaus als baubegeisterten Herrscher bezeichnen, der sowohl Heidelberg wie auch seine vorherige Residenz in Neuburg mit prachtvollen Bauten bedachte – und beiden Städten ihren ganz eigenen Ottheinrichbau schenkte. Doch nicht nur mit Gebäuden beschäftigte sich der beleibte Herrscher. So regte er beispielsweise auch zahlreiche Buchprojekte an, und ließ unter anderem das erste deutsche Neue Testament – das hundert Jahre vor Martin Luther begonnen worden war – vollenden. Zugleich liebte er die Frauen und den Wein, ging in jungen Jahren auf Kavalierstour nach Spanien – aber ebenso auf Pilgerfahrt ins Heilige Land. Überhaupt stand der Glaube für den Wittelsbacherspross trotz allen Luxus stets im Fokus des Interesses – wobei er sich recht früh auf die Seite der Reformation schlug, was ihn unter anderem sein Fürstentum kosten sollte. Dass er es später wieder erlangen konnte – und darüber hinaus noch den kurfürstlichen Thron in Heidelberg besteigen durfte – ist Sinnbild des turbulenten 16. Jahrhunderts wie seines Lebens gleichermaßen.

Einer Biographie zu Ottheinrich den ins Auge stechenden Titel “Der Himmelsstürmer” zu geben, macht insofern durchaus Sinn. Denn stets dachte er in großen Bahnen – ungeachtet aller Realitäten. Und genau dieses auf und ab des Lebens ist es, was Klaus Reichold in seinem Buch besonders gut herausarbeitet. Denn das Glück hatte Ottheinrich längst nicht immer auf seiner Seite, so dass dem 1502 Geborenen manche Schicksalsschläge nicht erspart blieben: Er ging bankrott, verlor seine Gemahlin und evangelisch geworden auch sein Fürstentum. In der Abgeschiedenheit des Exils in Weinheim an der Bergstraße – als Fürst ohne Land politisch kaltgestellt – nutzte er die Zeit zur Suche nach seelischem Halt beschäftigte sich mit verschiedenerlei Dingen, für die er zuvor nur wenig Zeit gehabt hatte. “Von seinem Studierstüblein aus erschloss er sich die Welt der noch jungen, ständig von neuen Erkenntnissen befruchteten Anatomie; er vertiefte sich in die Wappenkunde; er versuchte sich in Hebräisch und, mechanisch begabt, als Uhrmacher; er las Werke über die zeitgenössische Architektur und studierte die Fassadenentwürfe florentinischer Palazzi; er sammelte Kartenwerke, Reisbeschreibungen und Holzschnitte topographischen Inhalts; er widmete sich der Länderkunde und der Kosmographie; er ergänzte die bereits in Neuburg begonnene Münzsammlung um Abdrucke und kostbare Originale aus der griechischen und römischen Antike; er legte westlich des Weinheimer Schlosses einen Garten an, in dem – nach Neuburger Vorbild – wieder allerlei Exotica wie Auberginen und Pomeranzen wuchsen.” Daneben stürzte sich der auf Horoskope versessene Ottheinrich auf die Astrologie, hoffte er doch, aus den Sternen lesen zu können, wann sein eigener wieder nach oben steigen würde. Und tatsächlich wendete sich das Blatt noch einmal: 1556 wurde Ottheinrich als Nachfolger seines Onkels Kurfürst von der Pfalz. Inzwischen zwar extrem übergewichtig – aber noch immer voller Elan – machte er Heidelberg zur Metropole des deutschen Humanismus und legte den Grundstock für die legendäre Bibliotheca Palatina, die reichste Schatzkammer des gelehrten Deutschland.

Mit dem Krieg hingegen hatte Ottheinrich nicht viel am Hut – obgleich er in jüngeren Jahren körperlich durchaus noch in der Lage war, selbst an Turnieren teilzunehmen. Zwar ließ er für seinen Onkel Friedrich zwei tausendpfündige Geschützrohre gießen, die als imposante Ausstellungsstücke noch heute im Hof des Neuen Schlosses in Ingolstadt besichtigt werden können, und gegen den Angriff des türkischen Sultans Suleiman rüstete er gar selbst und auf eigene Kosten. Doch so ganz erfolgreich war dieser Kriegszug mit 60 Mann und 51 Pferden nun wirklich nicht: “Schon am zweiten Tag ging Ottheinrichs Floss zu Bruch, mit dem er Wien zu erreichen gedachte. Der Wagen, den er hierauf bestieg, brach hinter Kelheim und bescherte nicht nur Ottheinrich, sondern auch seinem Rat Bern von Hürnheim, dem Barbier und einem Edelknaben blaue Flecken. Jetzt ließ sich die Fahrt nur noch auf einem requirierten Mistkarren fortsetzen. Allzuweit kam die pfalz-neuburgische Kriegstruppe aber auch damit nicht. Schon vor Passau zogen ihnen Landsknechte und Berittene entgegen, ‘die schrieen: Kert wieder umb, es hot das gantz kriegsvolck urlaub’. Der Feldzug war nämlich schon wieder vorbei.” Ohnehin waren aber Ottheinrichs Talente auf ganz anderem Feld zu finden. So war er stets – nicht nur während seines Weinheimer Exils – auf der Suche nach raren Büchern und gab ein Vermögen für Prunkrüstungen aus.

Auf der anderen Seite hatte er jedoch auch düstere Tage zu erleiden. So blieben die Versuche, mit Kuren den – vor allem am Übergewicht liegenden – Leiden beizukommen, weitestgehend erfolglos, während ihn die Geldsorgen stets große Probleme bereiteten. Ein manches Mal wird er sich mit seinem allgegenwärtigen Leitspruch ‘Mit der Zeyt’ motiviert haben – auch wenn dieser Aspekt im vorliegenden Buch erst weit nach der Hälfte der rund 230 Seiten zur Sprache kommt. Vielleicht dachte sich Klaus Reichold, dass solch ein phlegmatisch scheinendes Lebensmotto nicht recht zu einem ‘Himmelsstürmer’ gepasst hätte. Doch da hätte sich er Autor keine Gedanken machen müssen. Denn Ottheinrich war durchaus ein Himmelsstürmer. Doch wusste er zugleich, dass auch den Himmel einzunehmen seine ‘Zeyt’ braucht.

Ob Ottheinrich am Ende – das nahende Ende vor Augen – innerlich resigniert hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedoch fehlt sein Lebensmotto an seinem Heidelberger Ottheinrichbau, der doch ansonsten mit unzählige Büsten und Reliefs geschmückt wurde. “Aber Ottheinrich hatte sein Ziel ja auch erreicht: ‘Mit der Zeit’ war er doch noch auf den Kurfürstenstuhl in Heidelberg gekommen, um sein Lebenswerk mit einem beispiellosen Engagement für Kunst und Wissenschaft zu krönen.” Doch schließlich verließen ihn die Kräfte, wurde er von Zeitgenossen ob seiner Fülle sogar als Gestalt bezeichnet, die einem Monstrum mehr ähnelte denn einem Menschen. Ottheinrich selbst versuchte seinen körperlichen Verfall dabei gar nicht zu beschönigen. So gab er 1556 eine Alabasterbüste in Auftrag, die “seine Hinfälligkeit in aller Ungeschminktheit zur Schau stellt”. Zu solch einer Größe war kein anderer Fürst dieser Epoche im Stande.

Ottheinrich starb am 12. Februar 1559 in Heidelberg. Und mit der Beschreibung der letzten Tage beschließt denn auch Klaus Reichold sein Buch, das man in seiner Summe als sehr gelungene Biographie bezeichnen muss. Entlang der Chronologie behandeln der Autor und seine beiden Mitwirkenden in der nötigen Tiefe die Lebensabschnitte des Wittelsbachers und arbeiten sehr geschickt dessen Ambitionen und Wünsche heraus. Zwar hätte dies auch mit einem stärkeren Fokus auf das fürstliche Motto ‘Mit der Zeyt’ geschehen können, das ein wenig zu sehr in den Hintergrund rückte. Doch tut dies dem spannend und unterhaltsam zu lesenden Buch keinen Abbruch, weshalb man die Lektüre durchaus empfehlen kann. Denn eigentlich ist es schade, dass man Ottheinrich fast nur wegen eines Palastes kennt, dessen Fassade noch immer im Geviert des Heidelberger Schlosses steht…

Klaus Reinhold: Ottheinrich von Pfalz-Neuburg (1502 – 1559). Unter der Mitarbeit von Petra Raschke und Markus Nadle Verlag Friedrich Pustet Regensburg 2004, 232 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag ISBN 3-7917-1911-4

Noch heute kann man die zwei Kartaunen ‘Scherer’ und ‘Schererin’ mit über neun Tonnen Gesamtgewicht in Ingolstadt besichtigen. Ottheinrich hatte sie 1524/1525 in Neuburg für seinen früheren Vormund Friedrich gießen lassen. Die kunstvoll mit Reliefen gestalteten Geschütze zählen nicht nur wegen ihrer Größe zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Bayrischen Armeemuseums in Ingolstadt. Das bei einem Bombenangriff zerstörte Geschützrohr demonstriert die Massivität der beiden Kartaunen, während das Portrait “FRIEDRICH VON GOTTES GNADEN – PFALCZGRAF PEI REIN – HERCZOG IN PAIRN” die hohe Kunstfertigkeit des frühen 16. Jahrhunderts unter Beweis stellt.

Autor: Heiko P. Wacker