Das 16. Jahrhundert
Europäische Renaissance
Hildegard Kuester (Hrsg.)
Auf der Suche nach einer vernünftigen Grenze zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit entschied sich die Wissenschaft schon vor langem für das Jahr 1500 – obwohl natürlich ein einzelnes Jahr niemals zwei Epochen trennen kann. Jedoch fanden um 1500 einige ganz wesentliche Entwicklungen statt, die für grundlegende Umwälzungen sorgten: 1492 segelte Kolumbus nach Amerika, 1512 erschütterte der kopernikanische Entwurf eines heliozentrischen Weltbilds die Gesellschaft und fünf Jahre später begann die Reformation, die in der Person des Philipp Melanchthon auch eng mit Bretten verbunden ist. Allerdings bewirkten diese drei Elemente erst mit einiger Verzögerung grundlegende Umwälzungen.
“Nicht die Entdeckung Amerikas und der neuen Seewege als solche beendete das Mittelalter (Leif Erikson landete bereits um 1000 in Nordamerika, und 1271 bereiste Marco Polo China), epochal war vielmehr die Kolonisierung der entdeckten Länder, mit der die westeuropäischen Staaten das Zeitalter globaler Politik eröffnen, und mit der die bis heute andauernde, wenn auch nicht mehr fraglos hingenommene Vorherrschaft der westlichen Kultur begründet wurde,” bringt Benedikt Konrad Vollmann (Universität München) ein Beispiel zu den Folgen damaliger Entwicklungen vor. Sein Beitrag zum Sammelband ‚Das 16. Jahrhundert – Europäische Renaissance’ – ist deshalb eine deutliche Ansage: Wollen wir unsere eigene Gegenwart verstehen, müssen wir die Umwälzungen kennen, die sich in der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit vollzogen.
Und das waren nicht wenige, wie der von Hildegard Kuester herausgegebene Sammelband deutlich macht. Hier wurden elf Texte namhafter Autoren vereint, die auf einer Vortragsreihe der Universität Eichstätt basieren, und sich mit den herausragenden Ereignissen der Europäischen Renaissance und den Umgestaltungen des ptolemäischen Weltbildes, der Revolution im Glauben, der Rolle der Humanisten bei der Reform von Gesellschaft und Kirche sowie den vielfältigen Strömungen im Bereich der Literatur und Kunst beschäftigen.
Resultat war eine Sammlung anspruchsvoller Beiträge zu einem Jahrhundert, das wie kein anderes einen Schwellencharakter hat. Besonders deutlich wird dies bei Hans Rudolf Picards Artikel ‚Don Quijote oder vom Sinn und Unsinn eines scheiternden Helden’. Nicht nur wird dem Leser hier eine präzise Handlungsanalyse des Klassikers von Cervantes geboten – der nach der Bibel das am zweithäufigsten übersetzte Buch ist – sondern auch ein guter Einblick in die Veränderungen jener Zeit. Denn Don Quijotes Wahnideen, er sei als edler Ritter berufen, die Welt von allem Übel zu befreien, sind mehr als humorvolle Phantastereien – man denke dabei nur an den in einer Spelunke für den Verrückten inszenierten Ritterschlag. Hier wird auch vielmehr deutlich, dass die Zeit des Rittertums endgültig vorbei ist, spielt doch Cervantes gekonnt mit den monumentalen Ritterepen der Vergangenheit und macht diese regelrecht lächerlich.
Vielleicht kann man deshalb sagen, dass das Mittelalter 1499 endete, und 1500 die Neuzeit begann. Man muss indes auch akzeptieren, dass die Menschen dies erst einige Zeit später wirklich wahrnahmen. Alleine um dies zu sehen lohnt der Blick in das 16. Jahrhundert, in die Europäische Renaissance – und in das von Hildegard Kuester herausgegebene Buch.
Hildegard Kuester (Hrsg.): Das 16. Jahrhundert. Europäische Renaissance. Eichstätter Kolloquium Bd. 2, Friedrich Pustet Verlag Regensburg, 215 Seiten, kartoniert ISBN 3-7917-1468-6
Autor: Heiko P. Wacker